Übersicht

Die Theaterwerkstatt besteht z.Z. aus einem in sich geschlossenen Einakter 'Homo profectus', der eine Vielzahl von Aspekten und Konfliktlinien des Neuen Menschen thematisiert. 
Aus diesen Bruchstücken entstehen weitere Projekte, seien es verschiedene Einakter aus dem einen bestehenden, seien es andere Formen der Veröffentlichung wie Prosastücke oder Fachartikel usw.

Zusammenfassung

Homo profectus
Familie Willak trifft sich 2050 zu einer Familienkonferenz. Das einladende Paar möchte die operative Führung der Firma, die Utubatoren (Gebärmutterapparate) produziert, an ihre beiden Kinder abtreten.
Das Familiengespräch entwickelt sich zunehmend dramatisch und endet im Desaster, da unterschiedliche Lebenshaltungen und wissenschaftliche Positionen, familiäre Geheimnisse, Lügen, gegenseitig provozierte Selbstoffenbarungen und Verrate hervor treten. Enthüllungen und bittere Wahrheiten entlarven die Familienmitglieder als schwierige Zeitzeugen, aber auch als Beschädigte eines durch Gentechwandel in Gang gesetzten gesellschaftlichen Umbruchs.


Aufbruch
Die nächsten Jahrzehnte stehen im Zeichen des gentechnischen und damit gesellschaftlichen Aufbruchs. Der Mensch macht sich zum Schöpfer der Evolution, er generiert eine neue Menschen-Art, die sich von der alten unterscheidet. Der anwesende Androide verweist auf ein paralleles Phänomen, dass Maschinenmenschen ebenfalls die Zukunft gehört.


Künstliche Reproduktion
Die menschliche Fortpflanzung ist kein natürlicher Vorgang mehr. Befruchtung im Reagenzglas von genmanipulierten Geschlechtszellen (Gendesign) mit anschliessender kontrollierter Fötalentwicklung im Gebärmutterapparat gibt dem Menschen mehr Verfügungsmacht über sich selbst.


Multiple Persönlichkeit
Die technologische Kompetenz des Neumenschen geht einher mit einem anderen geistig-psychischen Selbstverständnis und einer neuen Sexualeinstellung. Universelle Eigenschaften wie ‚Liebe, Bindung, Schuld/Scham’ oder die Gewissheit einer unverwechselbaren, überdauernden Identität geraten ins Wanken. Nur ungefestigte Personen werden den Entwicklungspfad des gentechnisch sich laufend verändernden Menschen beschreiten wollen und können.

Exposé

Homo profectus stellt einen wahrscheinlich eintretenden Sachverhalt exemplarisch dar. Der künftige Mensch greift, so die Behauptung, nachhaltig in den menschlichen Genpool ein. Der Eingriff in die menschliche Keimbahn scheint technisch bald machbar, ist indes eine gewaltige persönliche und gesellschaftliche Herausforderung.


Familie Willak
Um 2050 hält der Familienclan Willak eine Familienkonferenz. Meret und Knut haben zum Mittagessen eingeladen. Sie werden beim Nachtisch mitteilen, dass sie die operative Führung der Familienfirma, die Utubatoren (Gebärmutterapparate) produziert, ihrem Sohn Sevan und ihrer Tochter Mailot übergeben. Knut und Meret wollen eine neue Firma gründen, welche Utubatoren für den extraterrestrischen Bereich produziert.
Die Familiensippe besteht aus unterschiedlichen Charakteren mit teilweise erheblichen Persönlichkeitsdefiziten. Angeführt von Meret hat der Clan den elitären Anspruch, mit ihrem Firmenprodukt und der Propagierung der Keimbahnveränderung des Menschen zur Elite einer Welt mit einer neuen Menschenart (Homo profectus) zu gehören. Dieses Ansinnen wird aber innerhalb der Familie unterschiedlich prononciert vertreten. Offen widersetzen sich Sevan und als versteckte Urheberin seine Frau Velly.


Willaks Selbstdarstellungen
Das Stück ist ein Einakter (Einheit von Ort, Zeit und Handlung) und beginnt in der Pause nach dem Essen. Knut und Meret wollen zum Nachtisch überleiten, um den Familienmitgliedern ihre Firmenabsichten darzulegen. Das Gespräch beginnt frei assoziierend. Alle fühlen sich wegen Antiagings jung-dynamisch und sind stolz, sich zur Avantgarde der Gesellschaft zählen zu dürfen. Ansichten, Dialoge, Reden und Widerreden reihen sich wie zufällig aneinander: Es geht um Verheissungen der Humangenetik, um die Wertbestimmung von Frau und Mann angesichts heutiger Reproduktionsmöglichkeiten (künstliche Zeugung und Schwangerschaft, genetische Selbstveränderungen), um eine Debatte über die letztendliche Ursache menschlichen Strebens. Dabei offenbaren sich die verschiedenen Persönlichkeiten (mit teilweise prekären Ansichten und Verhaltensweisen) immer deutlicher. Am auffälligsten ist Sevan, der abweichendes Verhalten zeigt und sich in scharfer Widerrede gegen die Familiendoktrin übt, wonach ein echter Willak für künstliche Zeugung und Schwangerschaft sowie Keimbahnveränderung eintrete. Auch Tochter Mailot zeigt absonderliches Benehmen, das im krassen Gegensatz steht zu ihrer narzisstisch-rationalen Rhetorik über die Zugehörigkeit zur neuen Menschenart.


Neandertaler, Jetztmensch, Neumensch, Androide
Ein erste, wenn auch nur intellektuelle Verunsicherung in der Familie ist mit dem kontradiktorischen Thema gegeben, dass der Heutmensch der ‚Neandertaler’ des 21. Jahrhunderts werden könnte, weil er von einer gentechnisch modifizierten Menschenart abgelöst werden wird. Auch der Androide gerät ins Blickfeld, weil er, obwohl Maschinenmensch, zu autonomen Handlungen fähig ist und erahnen lässt, dass die biotechnische Evolution in der künstlichen Technologie ein Pendant erfahren wird.


Fassade zerbricht
Endlich kann Knut zu seiner Rede über die Firma ansetzen. Wieder herrscht scheinbar Harmonie, man prostet sich zu, nur Mailot und Sevan bleiben auffällig. Man könnte jetzt zum Nachtisch greifen. Meret und Knut drängt es aber, vor versammelter Runde zu renommieren und sich zu provozieren, weil beide dem anderen gegenüber offene Rechnungen haben. Das Paar treibt sich zur Preisgabe von Geheimnissen an. Es beginnt mit Meret, die, durch Knut verleitet, verkündet, dass sie beide mit dem neuen Typ Utubator schon experimentieren. Meret habe eine ihrer Eizellen aus dem familiären Kühlfach mit der Samenzelle ihres Schwagers Kevin, der in der Firma für ethische Fragen zuständig ist, verschmolzen. Diese Preisgabe löst eine Kaskade weiterer Enthüllungen von Familiengeheimnissen und –lügen wie auch aggressiver Impulse aus.


Enthüllungen, Entgleisungen
  • Mailot erkennt, warum sie infantile Regressionen hat: Weil sie im Utubator mit einem fötalen Zwilling heranwuchs, den man, um ihr Leben zu retten, absterben liess, reinszeniert sie ständig unbewusst ihr fötales Trauma. Ihre Übereinstimmung im Menschenbild mit ihrer Mutter bleibt zwar, sie hasst Mutter aber für ihr egozentrisches, gefühlskaltes Benehmen
  • Kevins Frau Sarah greift ihren Mann (der Samenspender für Merets Experiment) scharf an mit Seitenhieben gegen Meret. Aus Wut schaltet sie heimlich den Utubator aus, den Meret vorher auffahren liess
  • Sevan, solidarisch mit Velly, die sich immer schon von der familiären Doktrin distanzierte, ist zur Irritation aller zum harten Dissidenten in der Familie geworden. Vor kurzem schaltete er sein Biochip-Implantat aus. Dadurch werden die Schäden, die er sich früher als mütterliches Versuchsobjekt im Utubator zugezogen hatte, während des Familientreffens als Symptome wieder sichtbar. Er klagt Mutter für ihr selbstsüchtiges, wissenschaftliches Experimentieren scharf an, weil er sich von ihr missbraucht fühlt
  • Knut, ein sexbesessener Machertyp, beherrscht sich auch heute gegenüber dem Hausmädchen nicht. Meret greift ihn deswegen an und verletzt ihn zudem in seiner männlichen Ehre, indem sie verklausuliert verkündet, er sei nicht Sevans Vater. Knut rächt sich, ausplaudernd, er hätte früher Merets inzwischen verstorbene Schwester geschwängert. Meret bricht psychisch ein, weil sie sich von Knut gedemütigt fühlt. Sie ist aber auch schockiert, weil Knuts sexualisiertes Verhalten ihre Familienvision absurd erscheinen lässt
  • Kevin deckt auf, dass Velly die Tochter von Knut und der verstorbenen Schwester Merets ist, die Liebeswahl zwischen Sevan und Velly folglich Verwandtenliebe. Ein Chaos bricht aus, Sevan erleidet einen Affektdurchbruch, kann aber zurückgebunden werden. Augenblicklich trennt sich Velly von Sevan und der Familie
  • Schliesslich sorgt der Warnton des von Sarah ausgeschalteten Utubators für die letzte Gefühlsaufwallung. Der Fötus wird, weil eine gewisse Zeit ohne lebensnotwendige Zufuhren geblieben und wahrscheinlich geschädigt, vor den Augen aller zum Sterben gebracht.
Nach dieser dramatischen Entwicklung des Familientreffens schlägt Knut vor, dass man für heute Schluss mache in der Annahme, dass niemand mehr Lust auf Nachtisch verspüre. Er will aber von denen eine verbindliche Unterschrift, die auch weiterhin in der Firma bleiben bzw. an der familiären Werthaltung partizipieren möchten. Alle, auch Sevan, unterschreiben.

Familie Willak

Homo profectus, eine Farce?
Familie Willak stürzt während des Stücks von einem selbstüberwertenden Dünkel ab zu basalen menschlichen Bedürfnissen und emotionalen Reaktionen: Liebeshunger, Akzeptationswunsch, Trennungsangst, Gekränktheit, Koketterie, Neid, Eifersucht, Wut, Gewalt, Rache usw.
Also eine Farce?
Nein, die sich selbst entlarvenden Familienmitglieder inszenieren exemplarisch den Zwiespalt zwischen ‚Natur und Kultur’ künftiger Menschen, zwischen dem emotionalen Erbe der Homininenentwicklung und dem Gestaltwillen des modernen Menschen. Von der Natur oder Natürlichkeit längst entfremdet, schlägt in der Familie Urtümliches in primitiver Form wieder durch. Für ein Zurück ist es längst zu spät. Die Familie trägt die Ambivalenz zwischen Verstand und psychischen Relikten aus und erträgt sie.
Gleichnishaft rückt nach überstandener Familientortur niemand (ausser einer Person) vom eingeschlagenen Weg zum Neumenschen ab.

  • Willaks nehmen individuelle Schicksale einer künftigen Gesellschaft vorweg: Trotz Schaden, trotz Zweifel und Zerrissenheit am Umbruch teilhaben zu wollen. Willaks sind Wir, in 50 oder 100 Jahren.
Willaks Familienmitglieder als Zukunftsmenschen
  • Befruchtung von genmanipulierten Geschlechtszellen im Reagenzglas und anschliessend kontrollierte Fötalentwicklung im Gebärmutterapparat erheben die Familienmitglieder zu Gestaltern ihrer Zukunft. Sie machen Anspielungen auf ‚Gott’ und ‚Natur’, welche als Erbauer der Schöpfung ausgedient haben
  • Die radikalsten Familienangehörigen werden Universalwerten wie ’Liebe, Mutter, Vater’ fast ganz entkleidet. Das Motiv hierzu liegt in der radikalen Dekonstruktion von ‚Mutterschaft’ und ‚Vaterschaft’ angesichts künstlicher Reproduktionsbedingungen
  • Multiple Personen leben aber im labilen Gleichgewicht. Deswegen bedienen sich Einzelne des sogenannten Genoskops (siehe Theatertext), mit Hilfe dessen sie sich ihrer Existenz versichern, indem sie parareligiöse Rituale durchführen
  • Die Familienmitglieder sind in zwei Typen geteilt, Moderate und Extreme, die sich im Verhalten und Sprechen unterscheiden
  • Alle Personen sind trotz Unterschieden Zukunftsorientierte, d.h. dem gentechnischen Fortschritt zugetan. Nur zwei Familienangehörige scheren in der Keimbahnfrage aus; sie markieren die scharfen Dissidenten
  • Die Moderaten haben eine pragmatische Haltung zu Gegenwart und Zukunft, die Extremen hingegen eine missionarische, elitäre und anmassende.
Familie Willaks Haltungen und Konflikte
Der Clan rechnet sich zur Elite des gentechnischen Zeitalters. Die Familienmitglieder sind aber in sich und untereinander zerrissen zwischen dem Heutmenschen - Homo sapiens sapiens - und dem sich gentechnisch verändernden Neumenschen - Homo profectus. Als aktiv Beteiligte des gentechnischen Wandels nehmen die Einzelnen - gewisse sind prekäre Persönlichkeiten - wissenschaftliche und weltanschauliche Extrempositionen ein.
Nach einem scheinbar harmonischen Beginn des Familiengesprächs brechen Konflikte auf zu allmenschlichen Themen wie Liebe, Treue, Verantwortung, Moral, Schuld.
  • Die Hauptkonfliktlinie betrifft die Kernpersonen des Stücks, das Elternpaar Meret und Knut mit ihren beiden Kindern: Familienplanung war beim Paar bloss als wissenschaftliches Experiment gedacht. Will heissen, in Zeiten der genetischen Umrüstung des Menschen ist ‚Nachwuchs’ eine narzisstische und utilitaristische Investition
  • Der Sohn Sevan wurde im Prototyp des Utubators im fötalen Endstadium ausgetragen. Er trug Schäden davon, die dank des ‚Bioregulators’ (siehe Theatertext) unterdrückt werden. Da er das Neuroimplantat deaktivierte, treten die Symptome wieder hervor, akzentuiert durch seine Erregung während der Familiensitzung. Die Symptome: Probleme mit der Impulssteuerung, Bewegungsstörungen, Asthma, Verwirrtheitszustände mit Halluzinationen, Temporallappenepilepsie. Dank Mund- und Nasenspray bekommt er die Symptome in den Griff
  • Die Tochter Mailot entwickelte sich im Utubator zusammen mit einem Zwilling. Kurz vor der Geburt unterbrachen die Eltern die Entwicklung des fötalen Zwillings. Die Tochter reinszeniert ihr fötales Trauma zweifach: Sie geht mit ihrer Lebenspartnerin eine ‚Zwillingsbeziehung’ ein, hat regressive Zwangsrituale, die sich ihr als dissoziative Phänomene spontan aufdrängen, ohne in ihren Bewusstseinsraum vorzudringen. Durch Spontaneingebung wird ihr das Trauma plötzlich bewusst, die Symptome verschwinden.

Creative Commons Lizenzvertrag
Homo profectus von Max Fischer-von Arx steht unter einer Creative Commons Namensnennung-NichtKommerziell-KeineBearbeitung 3.0 Unported Lizenz.
Beruht auf einem Inhalt unter www.max-fischer-luzern.com.