Familie Willak

Homo profectus, eine Farce?
Familie Willak stürzt während des Stücks von einem selbstüberwertenden Dünkel ab zu basalen menschlichen Bedürfnissen und emotionalen Reaktionen: Liebeshunger, Akzeptationswunsch, Trennungsangst, Gekränktheit, Koketterie, Neid, Eifersucht, Wut, Gewalt, Rache usw.
Also eine Farce?
Nein, die sich selbst entlarvenden Familienmitglieder inszenieren exemplarisch den Zwiespalt zwischen ‚Natur und Kultur’ künftiger Menschen, zwischen dem emotionalen Erbe der Homininenentwicklung und dem Gestaltwillen des modernen Menschen. Von der Natur oder Natürlichkeit längst entfremdet, schlägt in der Familie Urtümliches in primitiver Form wieder durch. Für ein Zurück ist es längst zu spät. Die Familie trägt die Ambivalenz zwischen Verstand und psychischen Relikten aus und erträgt sie.
Gleichnishaft rückt nach überstandener Familientortur niemand (ausser einer Person) vom eingeschlagenen Weg zum Neumenschen ab.

  • Willaks nehmen individuelle Schicksale einer künftigen Gesellschaft vorweg: Trotz Schaden, trotz Zweifel und Zerrissenheit am Umbruch teilhaben zu wollen. Willaks sind Wir, in 50 oder 100 Jahren.
Willaks Familienmitglieder als Zukunftsmenschen
  • Befruchtung von genmanipulierten Geschlechtszellen im Reagenzglas und anschliessend kontrollierte Fötalentwicklung im Gebärmutterapparat erheben die Familienmitglieder zu Gestaltern ihrer Zukunft. Sie machen Anspielungen auf ‚Gott’ und ‚Natur’, welche als Erbauer der Schöpfung ausgedient haben
  • Die radikalsten Familienangehörigen werden Universalwerten wie ’Liebe, Mutter, Vater’ fast ganz entkleidet. Das Motiv hierzu liegt in der radikalen Dekonstruktion von ‚Mutterschaft’ und ‚Vaterschaft’ angesichts künstlicher Reproduktionsbedingungen
  • Multiple Personen leben aber im labilen Gleichgewicht. Deswegen bedienen sich Einzelne des sogenannten Genoskops (siehe Theatertext), mit Hilfe dessen sie sich ihrer Existenz versichern, indem sie parareligiöse Rituale durchführen
  • Die Familienmitglieder sind in zwei Typen geteilt, Moderate und Extreme, die sich im Verhalten und Sprechen unterscheiden
  • Alle Personen sind trotz Unterschieden Zukunftsorientierte, d.h. dem gentechnischen Fortschritt zugetan. Nur zwei Familienangehörige scheren in der Keimbahnfrage aus; sie markieren die scharfen Dissidenten
  • Die Moderaten haben eine pragmatische Haltung zu Gegenwart und Zukunft, die Extremen hingegen eine missionarische, elitäre und anmassende.
Familie Willaks Haltungen und Konflikte
Der Clan rechnet sich zur Elite des gentechnischen Zeitalters. Die Familienmitglieder sind aber in sich und untereinander zerrissen zwischen dem Heutmenschen - Homo sapiens sapiens - und dem sich gentechnisch verändernden Neumenschen - Homo profectus. Als aktiv Beteiligte des gentechnischen Wandels nehmen die Einzelnen - gewisse sind prekäre Persönlichkeiten - wissenschaftliche und weltanschauliche Extrempositionen ein.
Nach einem scheinbar harmonischen Beginn des Familiengesprächs brechen Konflikte auf zu allmenschlichen Themen wie Liebe, Treue, Verantwortung, Moral, Schuld.
  • Die Hauptkonfliktlinie betrifft die Kernpersonen des Stücks, das Elternpaar Meret und Knut mit ihren beiden Kindern: Familienplanung war beim Paar bloss als wissenschaftliches Experiment gedacht. Will heissen, in Zeiten der genetischen Umrüstung des Menschen ist ‚Nachwuchs’ eine narzisstische und utilitaristische Investition
  • Der Sohn Sevan wurde im Prototyp des Utubators im fötalen Endstadium ausgetragen. Er trug Schäden davon, die dank des ‚Bioregulators’ (siehe Theatertext) unterdrückt werden. Da er das Neuroimplantat deaktivierte, treten die Symptome wieder hervor, akzentuiert durch seine Erregung während der Familiensitzung. Die Symptome: Probleme mit der Impulssteuerung, Bewegungsstörungen, Asthma, Verwirrtheitszustände mit Halluzinationen, Temporallappenepilepsie. Dank Mund- und Nasenspray bekommt er die Symptome in den Griff
  • Die Tochter Mailot entwickelte sich im Utubator zusammen mit einem Zwilling. Kurz vor der Geburt unterbrachen die Eltern die Entwicklung des fötalen Zwillings. Die Tochter reinszeniert ihr fötales Trauma zweifach: Sie geht mit ihrer Lebenspartnerin eine ‚Zwillingsbeziehung’ ein, hat regressive Zwangsrituale, die sich ihr als dissoziative Phänomene spontan aufdrängen, ohne in ihren Bewusstseinsraum vorzudringen. Durch Spontaneingebung wird ihr das Trauma plötzlich bewusst, die Symptome verschwinden.

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